Dass bei Behörden überantwortetes Datenmaterial missbräuchlich verwendet werden könnte, sich Menschen aber andererseits öffentlich durchleuchten lassen, sind Aspekte, denen sich dieser Roman widmet. Die Absicht dahinter ist, über die allumfassenden Überwachungssysteme aufzuklären, derer sich viele zu wenig bewusst sind. Wer hätte schon gedacht, dass die harmlosen „Friends Cards und Fan Cards“ über die Kaufgewohnheiten ihrer Besitzer und Besitzerinnen Auskunft zu geben imstande sind.
In gewissen Vorstandsetagen würde man sich solche Informationen einiges kosten lassen. Denn je durchsichtiger und berechenbarer Kundinnen und Kunden sind, „umso zielgenauer kann die Industrie nicht nur werben, umso punktgenauer kann sie auch produzieren, Läden beliefern und Artikel absetzen“.
Gerade für Versicherungsgesellschaften und Pharmafirmen wären Daten mit gesundheitsrelevanten Informationen von Belang. Das weiß auch „Economic Hitman“ Roger Greenley, der sich für die amerikanische Regierung um nationale Sicherheit und Terrorbekämpfung kümmert, inoffiziell aber seinen diplomatischen Status und die Infrastruktur der amerikanischen Geheimdienste nutzt, um Geschäfte zu machen. Er hat auf seinem Laptop die Krankheitsdaten aller österreichischen Einwohner gesammelt, ist allerdings nicht vorsichtig genug. Deshalb können sich die beiden Informatikstudenten Christoph Hofer und Oliver Teodorovic mit Hilfe ihres neu entwickelten HUDINI-Programms, das darauf ausgerichtet ist, in jedes „ans Internet angeschlossene Netzwerk einzudringen und sämtliche Rechner damit zu durchforsten“, diese Daten aneignen. Seinen Geheimdienstkollegen gaukelt Greenley vor, dass die gestohlenen Sachen „mit Top Secret“ klassifizierte CIA-Dokumente sind, die (sollten sie an die Öffentlichkeit gelangen) nicht nur Schaden für Amerika, sondern auch die Enttarnung von Agenten bedeuten könnten.
Die Herren Blake und Walsh werden daraufhin aktiv. Wenig später ist einer der beiden Studenten, über die verbreitet wird, sie wären in terroristische Angelegenheiten verwickelt, tot und sein Kompagnon mit einigen in Sachen Wahrheit sehr
engagierten Helferinnen und Helfern auf der Flucht. Der CIA ist ihnen aber immer dicht auf den Fersen, will er doch unbedingt an den in Olivers Besitz befindlichen USB-Stick mit dem brisanten „Zahlensalat“ heran. Dafür scheuen die amerikanischen Geheimdienstmitarbeiter keine Mühen. Ein spannendes Katz-und-Maus-Spiel beginnt.
Das aus wechselnder Perspektive erzählte Verfolgungsspektakel verläuft dementsprechend abwechslungsreich, ja turbulent, hat man es doch mit Agenten zu tun, die fähig sind, „schnell und effizient zu töten“. Dementsprechend geht es alles andere als zimperlich zu.
Erzählt wird mit großer Empathie sehr sachkompetent und sprachversiert. Es mangelt weder an Witz noch Ironie. Durch den ermittelnden Chefinspektor Rudolf Kovac ist auch für reichlich Lokalkolorit gesorgt. Der „sture alte Sack“, der jeden Fall zur „Wissenschaft“ erhebt und solange darin herumstochert, bis er allen damit Befassten „den letzten Nerv gezogen hat“, hält wenig von Anweisungen aus dem von den Amerikanern „offiziell um Amtshilfe“ gebetenen Innenministerium. Den Fall als Selbstmord zu den Akten zu legen, passt ihm gar nicht. Er wird daher suspendiert und schließlich bei einer Messerattacke schwer verletzt. Aber selbst die kann ihn nicht stoppen, weder in seiner Ermittlungsarbeit noch in seinen markigen Sprüchen.
Passend dazu bekommt man ein Österreich präsentiert, in dem „Korruption, Lobbyismus und Vetternwirtschaft (…) genauso gang und gäbe“ sind wie in Amerika, in dem man aber auch aufrechten Verfechtern der Entsumpfung begegnet. Denen scheint „die Hörigkeit gegenüber der Obrigkeit“ gar nicht so in den Genen zu liegen wie vielen anderen. Ihnen geht es auch nicht ums Geld, sondern um Größeres: „Um das Recht, so zu leben, wie man will, ohne ständig kontrolliert zu werden“.
So engagiert wie diese Botschaft zeigt sich das ganze Buch. Weit weg von einem „Gschichterl aus’m Sonnenbrillenmilieu“ entpuppt es sich als großes Lesevergnügen mit ziemlichen Nachhall, ja als thematisch brandaktueller Roman, der haften bleibt.
Andreas Tiefenbacher, Bücherschau 208, Seite 72, Online
Das Digitale kämpft gegen das Animalische und ist vielleicht identisch damit! Wer einmal ein File um diesen Kampf hat verschicken wollen, kennt das Gefühl, plötzlich am Präsentierteller eines Geheimdienstes zu liegen.
Elisabeth Schicketanz und Robert Boulanger lassen bereits auf der Eingangsseite mit den biographischen Angaben keinen Zweifel darüber aufkommen, dass sie hervorragende Liebhaber von Hunden und Experten der digitalen Welt sind. Beide Welten sind folglich die Leitschienen für einen Wiener Spionagethriller, der eine Story ausrollt, die jeden von uns überrumpeln könnte, sofern wir eine Maus oder eine Hundeleine halten können.
Dabei beginnt im Prolog alles sehr erfolgsversprechend, die Studenten Chris und Oliver haben das Spähprogramm HUDINI entwickelt, das quasi im Handumdrehen alle noch so verschnörkelten Programme auslesen kann. Durch einen blöden Zufall saugen sie einem Agenten, der in einem Wiener Hotel den Laptop offen gelassen hat, wertvolle CIA-Daten ab.
Ein Hund entdeckt bald darauf den erschossenen Chris, für einen Selbstmord reicht der Schusswinkel nicht, also nimmt selbst die österreichische Kriminalpolizei an, dass es sich um Mord handelt. Bald einmal bilden sich drei Gruppen, die sich gegenseitig durch den Thriller jagen.
Als Leser werden wir Zeugen amerikanischer Umtriebe in Wien wie zu guten alten Dritte-Mann-Zeiten. CIA-Agenten versuchen die Daten zurückzubekommen und rund um den Erschossenen bildet sich eine
Studentenbande, die im Stile der „Fünf Freunde“ durch die Stadt flieht. Und hinterher rennt wie immer die Polizei, die ihren wertvollen Mitarbeiter durch einen trivialen Messerstich ruhig gestellt bekommt, ehe sie diesen von sich aus ruhig stellt.
An allen entscheidenden Punkten ist ein Hund beteiligt, im Umkehrschluss bedeutet das, dass das Verbrechen jeweils einen Schritt weiterkommt, wenn ein Hund auftaucht. Tatsächlich wird auch eine zweite Leiche eher sinnlich als digital geortet. Das ist überhaupt die zentrale Frage: Gibt es in einer Welt der Vernetzung und Überwachung noch physische Löcher, durch die man entkommen kann? Die Studententruppe packt alle Tricks aus wie Handy zur falschen Ortung einer Straßenbahn mitschicken, Kommunikation über Einweggeräte abwickeln, flüstern von Gesicht zu Gesicht, oder in einem Weinkeller untertauchen.
Bemerkenswert ist jedenfalls die Durchdringung unseres Alltagslebens mit diversen Spionagevorgängen. Um die Überwachungsnetze auszutricksen, muss man quasi nach einem Plan B leben, man schickt einen Lebensentwurf ins Netz und macht dann aber was anderes. So entwickelt sich das Leben auf einer Sub-Ebene, die durchaus kreativ ausfallen kann.
Agenten, Studenten und Kripo lösen schließlich den Fall, so viel darf verraten werden, es geht dabei sehr österreichisch zu. – Plan B ist an der Oberfläche eine Spionagethriller, in seinen tiefen Sinnschluchten freilich ein Lebensmodell für die letzten Individualisten, ob sie nun mit der Maus oder dem Hund unterwegs sind.
Helmuth Schönauer 14/09/15 GEGENWARTSLITERATUR 2403
Zwei findige Studenten schreiben ein Super-Spionageprogramm, das sich automatisch in Computer einwählen und alle Daten absaugen kann. Blöd nur, dass es bei einem Testlauf ausgerechnet den Laptop eines unvorsichtigen CIA-Mannes aufspürt. Diese Herrschaften kennen keinen Spaß, und schon bald muss sich Chefinspektr Kovac mit einem Selbstmord herumschlagen, der bei genauerer Betrachtung gar keiner sein
kann ... Die beiden Autoren legen nicht nur ein sehr geschmeidig geschriebenes Stück Krimi-Literatur vor. Da ist mehr. Beim Lesen beschleicht einen das Gefühl, eine zweite realere Wirklichkeit hervornlitzen zu sehen, als ob die Erzählung immer wieder den Charakter wechseln würde zwischen Roman und Reportage. Sehr lesenswert für Krimifreunde.
Josef Schick, Kunststoff Nr. 19
Alles Helle auf der Vorderseite hat meist etwas Dunkles auf der Hinterseite. Wer mit dem Finger durch die Speisekarte der Wildwochen fährt, muss wissen, dass zumindest in Österreich allerhand Blut und Dreck auf der Rückseite der Speisekarte steht.
Elisabeth Schicketanz und Robert Boulanger haben sich lustvoll der österreichischen Seele angenommen, die bekanntlich verbrämt durch urbane Sequenzen als archaisches Finsterland im erweiterten Speckgürtel rund um die Hauptstadt ansässig ist. Wer verstehen will, wie dieses ironisch-feudale Österreich tickt, das sich zwischen Deix-Figuren in Ackerfurchen versteckt, kommt an der Jagd nicht vorbei. Allein in Niederösterreich sind gut dreißigtausend Jagdscheine im Umlauf, (91) sagt jemand ganz verbittert, als er nicht mehr weiterweiß.
„Wildwochen“ ist das ideale Schlüsselwort, um diese muffigen, aufs Land geflüchteten Landeier zu beschreiben. In aktuellen Wähler-Landkarten sind die flächendeckend schießenden Bezirke blau eingezeichnet, die ermittelnden intellektuellen Gegenden dagegen in Grün. So eine Wählerverteilungskarte kann man sich in den Kopf einspielen, um die Wildwochen zu begreifen.
An der Oberfläche handelt es sich dabei um einen Kriminalroman. Der Kommissar Kovac ist gerade beim Übersiedeln von Wien auf das Land, da wird er von einer Serie erhängter Personen aufgehalten, die alle im Jagdgewand aufgeknüpft worden sind. Die Jagd spielt offensichtlich eine metaphysische Rolle für eine irre Tätergruppe. Mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden, denn für Krimileser bricht ein Buch immer entzwei, wenn sie die
sogenannte Lösung wissen.
Für die Meta-Leser sind freilich verrückt gute Botschaften enthalten. Da wird man einmal mit dem ermittelnden Kovac in das Landleben eingeführt. Zwei Dinge braucht man dabei unbedingt, einen geländegängigen Wagen und einen Tierarzt. Außerdem wird man mit typisch hybriden Berufsgruppen bekannt gemacht, wie es etwa Künstler oder Tierschützer sind. Hierbei handelt es sich um unrunde Personen, die aus der Stadt geflohen sind und jetzt die Ackerflächen und deren Besitzer missionieren wollen.
Zum dritten lernt man eine eigene Sprache. In der sogenannten Jägersprache ist eine ganze Philosophie verborgen, wie man töten kann, ohne dass es danach klingt. Diese Sprache zeigt durchaus Verknüpfungen zu entsprechenden Ideologien, bei denen der Faschismus ins Innere der Sätze gerutscht ist.
Erzähltechnisch gesehen geht es sehr österreichisch zu, es wird viel umschrieben, angedeutet, herumgeredet, aber selten Klartext geredet. Als Leser muss man auf der Hut sein, in dem Gelaber der Figuren nicht den Faden zu verlieren. Dabei sind die Kapitel mit der Innensicht der Täter und Opfer genauso barock ausgelegt wie die umständlichen Ermittlungen der barock aufgestellten Behörden. Eine Task-Force-Gruppe in St. Pölten ist wohl das Lustigste, was forensisch passieren kann.
Apropos lustig, man merkt es dem Autoren-Duo an, wie es sich beim Schreiben zerkugelt hat vor Lachen. Diese ungehemmte Fröhlichkeit kommt dem Krimi immer dann zugute, wenn es besonders ernst zugehen soll. - Sehr bekömmliche Wildwochen!
Helmuth Schönauer 10/07/16 GEGENWARTSLITERATUR 2505
Die Lust an der Jagd und am Töten der Kreatur scheint ein beliebter Zeitvertreib der oberen Zehntausend zu sein. In diesem Milieu muss Chefinspektor Kovac einen Serientäter ermitteln, der prominente und gesellschaftlich und politisch bestens vernetzte Freizeitjäger ins Jenseits befördert. Dabei hat der Ermittler aktuell ganz andere Probleme. Sein Umzug ins Ländliche fordert seine ganze Kraft und nur schwer kann er sich an die Ruhe außerhalb der Großstadt gewöhnen.
Eine Mordserie an älteren Männern der "besseren" Gesellschaft ruft ihn in die Realität zurück und zusammen mit seinem Kollegen begibt er sich auf die Suche nach dem Täter. Die Arbeit der beiden Ermittler wird durch die Intervention "von oben", die ihnen zwei ortsfremde Kollegen ins Team bringt, erst einmal gestört. Nichts hasst Kovac so sehr wie Veränderungen und erst langsam beginnt eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.
"Wildwochen" aus der Feder des Autorenduos Elisabeth Schicketanz und Robert Boulanger ist der zweite Fall des
knurrigen Chefinspektors, der diesmal fast an die Grenze seiner Belastbarkeit gelangt. Nur mit Mühe kann er sich auf die Suche nach dem Täter machen, der mit unerhörter Grausamkeit seine Verbrechen begeht.
Mit geschickten Rückblenden konstruieren Schicketanz und Boulanger eine atmosphärisch dichte Handlung, die, meint der Leser den Täter zu kennen, mit überraschenden Wendungen aufwartet und bis zum Schluss den Spannungsbogen hält.
Die Autoren dringen tief in die menschlichen Abgründe ein und "Wildwochen" ist neben einem hervorragenden Kriminalroman ein Kaleidoskop dessen, zu welchen Taten, glaubt man sich, wie in diesem Fall die prominente Jagdgesellschaft, als unangreifbar, Individuen fähig sind. Feigheit und Schweigen stehen neben Grausamkeit und Sadismus und wohl kaum ein Leser dürfte mit den Opfern des Serienmörders Mitleid empfinden.
"Wildwochen" ist für die Freunde intelligenter und spannender Kriminalromane genau die richtige Lektüre.
Maiandacht ist ein religiöses Zeremoniell, das in der öffentlichen Lesart gerade noch als Volksbrauch oder Meditationsübung durchgeht, in entlegenen Landesteilen aber vollends ins Archaisch-Mythische hineingreift. So ist der echte Maiandachtskult für den Tourismus noch immer tabu, wer ihn erkunden will, muss entweder Betroffener oder Forensiker sein.
Elisabeth Lexer und Robert Boulanger haben die Form des Kriminalromans gewählt, weil man sich dadurch landläufig etwas vorstellen kann und weil erzähltechnisch gesehen so die diversen Geheimnisse geknackt werden können, indem einfach ein Chefinspektor über die Sache drüberscannt. In der Tiefenstruktur ist der Roman durchaus ein Stück Ethnographie, Psychologie und Dialektologie. In einem Glossar werden nämliche die einzelnen Fügungen nicht nur in eine Allgemeinsprache transferiert, ihre Auswahl und ihr semantisches Selbstbewusstsein deuten darauf hin, dass diese Begriffe auch den Sinn des Lebens in einem gewissen Landstrich ausmachen. Diese regionale Feldforschung ist gewissermaßen die Antwort auf die Globalisierung, der Kosmos ist nämlich ein Wallfahrtsort mit aufgesetztem Wellnessbereich.
Romane werden nach allem möglichen beurteilt aber selten nach dem Aufspür-Genuss für den Leser. Das Lesen kann nämlich per se zu einem Genuss werden, wenn sich die Autoren etwas kunstvoll ausgedacht haben, was der Rezipient nur in mehrfachen Leseschüben aus dem Text hervorholen und für seine Welt deuten kann.
Vom Lesevorgang her gesehen erinnert Maiandacht vielleicht an das gigantische House of Leaves von Mark Z. Danielewsky, nur dass hier nicht ein Haus verrückt spielt, sondern ein kleiner Ort gruselig metaphysisch wird. So gibt es in der Maiandacht eine Rahmenhandlung, die der bewährte Chefinspektor Kovacs tapfer absolviert, die Handlung ist auf vier Tage aufgeteilt und die wunderlichen Frauenfiguren kriegen eine eigene Schrifttype, um ihre Gendankenwelt rein
graphisch von den allgemein gedeuteten Vorgängen herauszuheben.
Inspektor Kovacs, seine Begleiterin und der Hund Puppi kriegen einen Wellness-Gutschein, entscheiden sich aber im Angesicht des Dorfes Maria Schmerz zu einem klassischen Wanderurlaub mit volkstümlicher Einlage. Die ganze Gegend ist Walpurgis-gemäß erigiert, überall spielen sich Tänze, Rituale und Bräuche ab, und als man munkelt, dass ein Kind verschollen ist, kann niemand den Wahrheitsgehalt dieses Gerüchtes feststellen.
Kovacs bringt sich ins Spiel und benimmt sich gleich einmal tolpatschig, indem er gegen seine vergessene Windjacke ermittelt. Ständig geht ihm die Luft aus, wenn er eine Spur aufnimmt, und der Hund ist urbane Dekoration, die in der Gegend nichts verloren hat.
In ihren Geheimwelten tauchen dann ein paar starke Frauen auf, vor allem Cilli hält die Fäden zusammen, indem sie die wichtigen Entscheidungen mit alten Ritualen unterlegt. In dieser archaischen Struktur werden geistige Handicaps durchaus in Stärke umgewandelt, die Gesetze des Hexenwesens übertünchen übliche soziale Gefüge. Die moderne aufgeklärte Welt wird draussengehalten, weshalb auch die Touristen nichts vom psychologischen Myzel des Dorfes mitkriegen.
Der Fall um das verschwundene Kind wird natürlich aufgeklärt, aus forensischen Gründen darf die Lösung hier freilich nicht verraten werden.
In der Gegenwartsliteratur müssen Romane oft herhalten, um eine Gegend zu puschen und touristisch auf Vordermann zu bringen, in der Maiandacht geht es darum, den Spuren einer magischen Welt nachzugehen, die den Tourismus glatt unterwandert. Dieser Roman erweckt Gelüste, vor der eigenen Haustüre unter dem Zirkuszelt des Tourismus nach irrealen, bigotten und unlogischen Verknüpfungen unserer Gesellschaft zu graben.
Helmut Schönauer 24/09/18 Gegenwartsliteratur
Wellness-Urlaub trifft auf Chefinspektor Kovac. Ein gut gemeintes Geschenk seiner Kollegen löst bei dem eigenwilligen Ermittler gemischte Gefühle aus, zumal der Gutschein für zwei Personen gilt und als Begleitung nur seine von ihm stets auf eine gewisse Distanz gehaltene Freundin infrage kommt, die jedoch, Kovac hat es geahnt, für die gemeinsame Woche andere, sportlichere Pläne hat als ihr Begleiter, dem bereits die Menüzusammenstellung in der Wellness-Oase Kopfschmerzen bereitet, ist er doch der bürgerlichen, also deftigen Küche zugeneigt. Im bergischen Wallfahrtsort Maria Schmerz angekommen, entwickelt sich der Urlaub in die von Kovac befürchtete Richtung und er muss alle seine kreativen Fähigkeiten ausschöpfen, um sich vor dem Fitness- und Ernährungswahn seiner Begleiterin in Sicherheit zu bringen. Da kommt ihm eine vertuschte Kindesentführung gerade recht, die ihn mitten hineinführt in ein fatales Gemisch aus Kommerz, religiöser Verblendung und Intoleranz. Wirtschaftliche Interessen und Religion sind, das bemerkt Kovac schnell, unter der auf den ersten Blick idyllisch wirkenden Kulisse des Ortes eine gefährliche Koalition eingegangen, die alles zu unternehmen bereit ist, um den stetigen Geldfluss durch die wallfahrenden Touristen nicht abbrechen zu
lassen. Hinter dem oberflächlichen Klischee der ländlich heilen Welt, brodelt es gewaltig. Habgier, persönliche Ressentiments und finanzielle Abhängigkeiten machen das Leben der Dorfbewohner zur Hölle auf Erden, von denen einige ihre angestaute Frustration, angefeuert durch Alkohol, an einer noch nicht so lange in der Nähe des Ortes lebenden Frau, die in den Augen einer religiösen Fanatikerin eine Hexe personifiziert, auslassen. Was für Kovac zuerst eine willkommene Gelegenheit ist, dem Wellness-Wahn seiner Begleiterin zu entkommen, entwickelt sich schnell zu einem veritablen Horror menschlicher Abgründe. In dem nach außen abgeschotteten Kosmos von Maria Schmerz leben die Einwohner wie aus der Zeit gefallene Figuren, die, das Autorenduo Elisabeth Lexer und Robert Boulanger beschreibt das einmal mehr mit ausgefeilter Diktion, noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen zu sein scheinen. „Maiandacht“ ist ein Kriminalroman, der wieder einmal von seinem sympathisch grantigen Ermittler und dessen ebenfalls äußerst eigenwilliger Hundedame lebt, vielmehr jedoch von seinen tief in die deformierte Psyche eintauchenden Darstellungen der agierenden Personen.
InKultura 10/2018 (http://www.inkultura-online.de/maiandacht.html)
„Maiandacht“ ist ein Roman, der sich höchst geschickt als Krimi verkleidet hat. Das Autorenpaar Elisabeth Lexer und Robert Boulanger setzt im dritten Band der Chefinspektor-Kovac-Reihe ihren Ermittler ein, um uns literarisch, mit ausreichend schwarzem Humor, in die Abgründe von dörflichem Glauben und Aberglauben zu verstricken. Im Wallfahrtsort Maria Schmerz soll ein Kind entführt worden sein. Drei Frauen, die schonungslos ihre „heiligen“ Ziele verfolgen, führen den Inspektor immer tiefer in eine Welt voller Lebenslügen, Täuschungen und Visionen. Recherchiert wurde im nördlichen Niederösterreich, bei Zeitzeuginnen der ersten Nachkriegszeit. Spannende Völkerkunde vor der Haustür.
(Andreas Kuba/kunstoff Ausgabe Dezember 2018)