Teufelskreis
"Als Teufelskreis, lat. circulus vitiosus („schädlicher Kreis“), oder Abwärtsspirale wird ein System bezeichnet, in dem mehrere Faktoren sich gegenseitig verstärken und so einen Zustand immer weiter verschlechtern."
Ausnahmsweise zitiere ich hier Wikipedia, weil die Definition wirklich gut getroffen scheint. Die zweite Bedeutung wäre der sog. Zirkelschluss, ein Beweisfehler, bei dem die Voraussetzungen das zu Beweisende schon enthalten. Die Aussage selbst bildet also die Voraussetzung des zu Beweisenden. Ein Vorwurf übrigens, mit dem Psychoanalyse zu leben hat, seitdem sie existiert, doch es heißt, diese Methode solle trotzdem funktionieren. Schopenhauer nennt eine Menge von rhetorischen Strategemen, mit deren Hilfe man in einer Diskussion Zustimmung beim Publikum oder sogar vom Gegner erzeugen kann, indem man die eigene Position plausibel macht und/oder die Glaubwürdigkeit des Gegners untergräbt. Begrifflichkeiten wie „wahr“ oder „falsch“ seien ausgeklammert, es geht schlicht darum, Recht zu behalten, am liebsten für Sachverhalte, für die keinerlei wissenschaftliche Beweise existieren. Diese Strategie erfreut sich gewisser Verwandtschaft mit dem rhetorischen Kunstgriff der Rabulistik, die geschickt vom Thema ablenkt, Sophismen einbringt und auch von gut verpackten Fehlschlüssen fröhlich Gebrauch macht. Täuschung, bewusste Irreführung und Lüge zählen in diesem Zusammenhang nicht als „Sünden“. Zitieren wir zum Thema „Rabulist“ Johann Conrad Adelung aus dem 18. Jahrhundert, wo es solche Zeitgenossen, wie es scheint, auch schon gab:
„[…] ein geschwätziger und dabey ränkvoller Sachwalter, welcher den Sinn des Gesetzes nach seinem Vortheile zu drehen weiß; ein Zungendrescher. Daher die Rabulisterey, ränkvolle Geschwätzigkeit.“
J. C. Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart 1798
Soweit einmal die Definition dessen, worum es hier gehen soll. Einerseits um Teufelskreise, andererseits um Zirkelschlüsse und damit im Zusammenhang um die „Rabulisterey“, also genau um das, was die Mantrailer-Szene immer schon und wieder einmal beherrscht. Ein drittes Begriffsfeld wäre de facto noch ausständig: die „double-bind“-Situation. Was das ist? Mutter schenkt Sohnemann eine gelbe und eine grüne Krawatte. Trägt er die gelbe, fragt sie empört, ob er die grüne nicht mag. Trägt er die grüne, reagiert sie beleidigt, weil er nicht die gelbe am Hals hängen hat. Alle drei Begriffsfelder zusammen ergeben so etwas wie eine Patt-Situation. Das ist diese prekäre Lage, in der weder etwas vorwärts noch zurück geht. Landläufig würde man sagen: Der Karren steckt im Dreck.
Exkurs:
Greifen wir ein wenig zurück, in unserer eigene Vergangenheit. Am Anfang war der Glaube, multipel ausgerichtet in verschiedenste Richtungen, die nur eines verband: die Aufwertung des eigenen Egos und die aufgehaltene Hand, in die der Obulus für diesen geschickten Aufbau abzugeben war. Möglichst im Voraus. Ist es nicht Musik in den Ohren eines/r HundehalterIn, zu hören, dass man einen Ausnahmehund besitzt? Hängt nicht der Himmel voller Geigen, wenn man bestätigt bekommt, das Hund und Herrchen/Frauchen das megatalentierte Dream-Team sind? Was gibt es Schöneres, als zu hören, dass das Potential dieses Teams so gut wie grenzenlos sei, wenn man nur fleißig genug trainieren, den Rat des/der AusbilderIn fraglos befolgen und eine ausreichende Anzahl von Seminaren besuchen würde? Als sämtliche KollegInnen der Trailgruppe weit hinter sich zu lassen, gefördert zu werden mit immer längeren und immer älteren Trails und verlässlich zu finden? Prüfungen zu bestehen? Aufzusteigen in der Hackordnung der Hundeszene? Welch Stolz. Welch wohliges Gefühl. Wir sind auch nur Menschen. Allerdings Menschen, die mit Tieren arbeiten, seien es nun Hunde, Pferde oder Wölfe. Marleen hat übrigens auch schon mit Goldfischen gearbeitet. Und Elisabeth spaßeshalber auch mit Hühnern und Enten. Was wir dabei gelernt haben, ist ziemlich genau hinzuschauen, zu beobachten, was abläuft, und diese ablaufenden Prozesse in einem Kontext zu sehen. Daher fiel es uns auch nicht wirklich schwer, unsere "großartigen" Erfolge von außen zu betrachten, womit der Glaube zu wanken begann. Erinnern wir uns doch an 24h - 48h alte und noch ältere Trails, auf denen wir glücklich gefunden haben. Erinnern wir uns doch daran, dass auf diesen Trails nette Begleitpersonen dabei waren. Oder erinnern wir uns, dass wir mit weniger hilfreichen Begleitpersonen bis zur Erschöpfung ganze Ortschaften aussuchten, um dann irgendwann zufällig über eine frischere Spur zu stolpern, die schließlich zum Ziel führte. Erinnern wir uns - vielleicht voller Dankbarkeit - an Prüfer, die die Luft anhielten und erst vernehmlich ausatmeten, wenn der Hund die richtige Richtung an der Kreuzung einschlug. Ganz besonders liebe Prüfer blieben auch immer stehen und gingen erst dann weiter, wenn´s gepasst hat. Erinnern wir uns auch daran, dass manche Leute bei Prüfungen von vorherein keine Chance hatten, weil sie entweder Prüfer oder Ausbilder, die im schlimmsten Fall unter eine Decke steckten, vergrault hatten. Das tut dem Ego gar nicht gut. Das möchte man am liebsten verdrängen.
Zirkelschluss
Wenn wir nun auf unseren Zirkelschluss zurückkommen: Einem solchen sitzt wohl jeder auf, der zu trailen beginnt. Mein Hund findet, also funktioniert es. Weil es funktioniert, kann mein Hund demnach finden. Die Freude ist groß. Diese Argumentation ist auf den ersten Blick geradezu lückenlos, bis zu jenem schrecklichen Moment, wo man dünne, schier unsichtbare Risse im System registriert, die man noch längere Zeit zu ignorieren versucht. Es funktioniert ja, wie gesagt. Gelingt dieser Verdrängungsprozess, gerät man in den besagten Teufelskreis. Da Beweisnotstand herrscht, bastelt sich der engagierte Trailer die Beweise am besten selbst. Und da man, wie schon öfter angemerkt, beim Trailen nur höchst selten objektive Resultate erzielt, da die ratio angesichts der wundersamen Gaben der bzw. mancher Hunde und des geradezu unglaublichen Erfahrungsschatzes und der Erfolge von Ausbildern in den Hintergrund tritt, jagt ein Beweis den nächsten. Letztlich ist es doch ein Beweis, wenn man gefunden hat, am besten noch im sog. "Einsatz". Oder wenn man eine Prüfung bestanden hat. Oder etwa nicht? Klingelt da etwas im Ohr, ein winziger, lästiger Zweifel? Kratzt da etwas am Ego? Einfach ignorieren, es ist doch bewiesen, was zu beweisen war, könnte man sagen. Und weitermachen. Manche, am häufigsten diejenigen, die selbst so ihre Erfahrungen auf anderen Gebieten mitbringen und denen die Blauäugigkeit längst vergangen ist, können mit diesem permanenten Juckreiz weniger gut umgehen als andere. Für diese unbequemen Zeitgenossen greift der gläubige Trailer auf die Kunst der Rabulistik zurück. Lenkt vom Thema ab, bringt seine selbstgestrickten Beweise als Argumente vor, verwickelt sich in Zirkelschlüssen, zettelt Methodenstreitereien an und schwingt zuletzt die Streitaxt der Erfahrung gegen besserwisserische Nichtskönner. Und so schlittert die gesamte Disziplin, die sich andauernd selbst bestätigt wie ein Hund auf der Hasenjagd und sich im Zuge dessen über andere erhebt, in eine Abwärtsspirale. Was da unten da ist, wissen wir (noch) nicht. Wahrscheinlich herrscht dort große Dunkelheit, wie in den alten Mythen. Manche Trailer begeben sich sogar in großer Hast dorthin, um die ganze Sache bewusst dem Mysterium anzunähern und sich den Status der Unantastbarkeit zu sichern. Nachdem wir einen Artikel veröffentlicht hatten, der den Begleittext zum researchdogs-Vortrag beim 12. internationalen animal learn-Symposium beinhaltete, entbrannte in einem Mantrailerforum eine hitzige Diskussion darüber. Die alleinige Aussage, oder besser formuliert, der alleinige Zweifel daran, Hunde könnten nach einer Dauer von einigen Stunden einer Spur nicht mehr verlässlich folgen, hatte ca. 97% der weit über 200 Wortmeldungen zur Folge, welche sich innerhalb kurzer Zeit dort einfanden. Andere Aspekte des Artikels, die sich mit der oftmals nicht ganz artgerechten Behandlung der Hunde beim Trailen beschäftigten, fanden gerade mal zu 3% Beachtung. Wenn wir bedenken, dass gerade das Thema der "artgerechten Hundeausbildung" die Hundetrainerwelt zur Zeit "dominiert", sind diese 3% ganz eigentlich bedenklich. Einige der Forumsteilnehmer reagierten genauso, wie wir es mit der Veröffentlichung des Artikels erhofft hatten. Sie begannen nachzudenken, sie begannen ihr eigenes Handeln, ihre eigenen Erfolgserlebnisse zu überdenken. Das ist das, was wir mit besagtem Artikel bezwecken wollten, nicht mehr und nicht weniger. Widmen wir uns also den 97%, die sich durch diese Zweifel - wie es scheint - teilweise sogar persönlich angegriffen fühlen. Betrachtet man die teils heftigen Reaktionen hier und führt sich die einleitenden Sätze nochmals zu Gemüte, müsste man an dieser Stelle eigentlich gar nicht mehr weiterlesen. Was hier passiert ist, spiegelt die Stimmung in der kleinen Welt der Mantrailer. Was würde denn der Staffelführer sagen, wenn man plötzlich der Meinung wäre, dass Hunde gar nicht so erfolgreich sind, wie bislang verkauft. Was würden wohl die Staffelmitglieder sagen, die man seit ewigen Zeiten bei Trainings ins Ziel gelotst hat, die nicht-trailenden Staffelbrüder und -schwestern, die Jahr und Tag bei Wind und Wetter als Versteckpersonen zur Verfügung standen. Was der Vorstand, der eben ein neues Fahrzeug für die Staffel bewilligt hat, weil die Trailer mit den Flächenhunden zusammen nicht mehr in einem Wagen passen. Was würde wohl der ehrenwerte Gatte davon halten, wenn Frau Gemahlin plötzlich mit der Tatsache im Türstock steht, dass der tüchtige Fluffi gar nicht im Stande sein kann, das eigene Kind nach drei Tagen noch zu finden, hat sie dies ja als vordergründiges Argument für all die Wochenenden benutzt, in denen sie beim Training oder auf Seminaren war. Ach ja, a propos Seminare, die kosten ja auch einiges, und der liebe Trainer, die reizende Trainerin dort, die haben uns doch weisgemacht, dass das, was sie verkaufen, auch was wert ist. An dieser Stelle, da wo es um Geld geht, beginnt das Ego sich zumeist in Schmerzen zu winden. Und fällt in dem Moment wie ein Häufchen Elend in sich zusammen, wo man erkennen muss, dass man sich eventuell geirrt hat. Jene/r selbige TrainerIn hat plötzlich auch ein Riesenproblem, wie soll er/sie denn plötzlich all diese bestandenen Prüfungen rechtfertigen, die seine/ihre Schützlinge in den vergangenen Jahren erfolgreich absolviert haben, wenn das alles plötzlich in Frage gestellt wird bzw. jemand gar behauptet, dass es gar nicht möglich sein sollte, dass der hochtalentierte Rex eine 48 Stunden alte Spur im Prüfunglauf mit links geschafft hat, und das mitten in München oder Hamburg oder Berlin über eine Distanz von 2,8 km. Damit kommen wir zum letzten erstaunlichen Phänomen, das unsere kleine Welt charakterisiert. Mantrailer lieben nicht nur double blinds, sie lieben double bind-Situationen. Vereinfacht ausgedrückt: Was immer der andere auch tut und sagt, ist falsch. Trifft jemand Aussagen, die sich beweisen lassen, trägt der/diejenige für andere die gelbe Krawatte, die nicht zur Uniform passt. Trifft jemand Aussagen, für die der Beweis fehlt, weil man einen solchen nicht für nötig hält - laut Erfahrung funktioniert alles ohnehin wunderbar - trägt der/diejenige für wiederum andere die grüne Krawatte, die leider auch nicht überall dazupasst. So steuert die ganze bunte Szene den Karren munter in den Sumpf hinein. Nur gut, dass die Hunde klug genug sind, um sich rauszuhalten. Die interessiert das ganze Theater nicht. Zurück zu uns: Wir gehen davon aus, dass jede/r von uns - die LeserInnen, wie wir hoffen, miteingeschlossen - den besten Hund unter Sonne hat. Es sollte selbstverständlich sein, dass wir als Hundehalter unseren Hunden ihre begrenzte Zeit in der großen Welt des Alltags wie auch in der kleinen Welt der Mantrailer so angenehm wie möglich gestalten. Das bedeutet, das eigene Ego hin und wieder mal zurückzustellen und die Möglichkeiten und Grenzen jedes einzelnen Hundes zu erkennen und zu akzeptieren. Und das macht für uns mehr Sinn als kollektive Karrenfahrten.
E.S./R.B. November 2013