Eine Frage der Rasse?
Kaum hat sich eine Hundesportart so halbwegs etabliert, kommen auch die Expertendiskussionen schon emsig in die Gänge. Die spannendste Frage ist dann ja immer die, welche Hunderasse denn nun am besten geeignet wäre. Nun, dazu gibt es zwei ganz einfache Antworten: a) die, die zuerst im Fernsehen zu sehen war, b) die Rasse, die der Ausbilder, dem man nachfolgt, selbst hält. Das ist eine der Diskussionen, die mir a) Sorgen macht, b) mich gewaltig nervt. Haben wir in Sachen Hund nicht schon genug herumdesignt, „selektiert“ und krank gezüchtet? Müssen die Mantrailer jetzt auch noch ihr Scherflein dazu beitragen, dass eine Industrie angekurbelt wird, die hündische Spezialisten produziert, die – seien wir ehrlich – keiner wirklich braucht? Verfolgen wir doch einmal das traurige Schicksal der Rexe, Lassies und wie sie alle hießen, damals vor zwanzig Jahren. Schweinchen Babe bescherte uns die Aussies und die Borders, und als Geheimtipp erschienen die Malis im Hundesport, damals nur mit EU-weiten Beziehungen zu kriegen, wenn überhaupt. Was aus den Collies und dem DSH geworden ist, bedarf wohl keiner weiteren Erläuterung. Nur so viel, dass renommierte Züchter irgendwann begonnen haben, Junghunde mit so furchtbar schweren Mängeln wie Fehlfarben oder Knickschwanz im Alter von einem halben Jahr per Masseneuthanasie zu entsorgen, unter dem Vorwand, die Zucht HD-frei halten zu wollen. Dass die Hütejunkies mangels Auslastung zu völlig neurotischen Kläffern gerieten. Dass von den hochgerühmten Qualitäten der Malis bei den zitternden giftigen Nervenbündeln nicht mehr viel zu finden war, nachdem Masse statt Klasse den Markt regiert. Wer nicht so viel ausgeben wollte, fand einen florierenden Schwarzmarkt vor; und weil das, was nicht viel kostet, auch nicht viel wert ist, fällt dann auch die Trennung vom doch nicht perfekten Hund nicht schwer. Wer heute einen der kürzlich noch ach so modernen Rassehunde sucht, hat in den Tierheimen die Qual der Wahl. Nun bescheren uns die Medien und die Szene selbst den nächsten Boom: Bloodies, Schweiß- und andere Hunde, die traditionell jagdlich geführt werden und ursprünglich für eben diese Zwecke gezüchtet wurden, sind jetzt problemlos zur Haltung in der Großstadt geeignet, weil sie durch Mantrailing ohnehin ausgelastet sind. Der Bloody, Lauf- und Meutehund für Hochwild, macht sich im Film echt gut als Sklavenjäger oder an der lange Leine des Südstaaten-Cops. Und außerdem hat er, wie uns immer wieder versichert wird, 300 Millionen Riechzellen, was weit mehr ist als der Schäferhund und was ihn sozusagen schon genetisch als Mantrailer qualifiziert, bevor er noch die Augen offen hat. Ich frage mich jetzt eben das, was ich mich vor 20 Jahren bei anderen sog. Spezialrassen gefragt habe: Wo sind sie eigentlich an den Tagen der Woche, wenn sie nicht „im Sport“ oder „im Dienst“ oder auch „im Einsatz“ sind? Womit verbringen sie ihre „Freizeit“, diese hochgezüchteten, alltagsuntauglichen Spezialisten? Was geschieht mit ihnen, wenn sich herausstellt, dass sie aus irgendwelchen unerklärlichen Gründen doch nicht für den „großen Sport“ geeignet sind? Wohin verschwinden sie? Zwingerhaltung ist out. Aber manche Mauern sind hoch. Bevor der Mali mit dem grauen Schäfer aus der Arbeitslinie die Wohnung zerpflückt oder der Bloody sie gründlich versabbert, bleiben alle besser in der Box oder leben im Out bzw. outdoor. Das trübt die Beziehung zwischen Mensch und Hund weit weniger als der tägliche häusliche Unfrieden. Außerdem arbeiten die Hunde ja besser, wenn sie in einen gewissen „Triebstau“ kommen. Die können sich dann in ihrem Job so richtig abreagieren und sind dann sowieso glücklich, wenn sie in Box und Zwinger wieder ihre Ruhe haben. Solche Aussagen stammen nicht aus den 1950er-Jahren, die sind brandaktuell. Die Arbeitshundeszene ist nun einmal nichts für Weicheier. Nachdem sich – eigentlich – alle darüber einig sind, dass auch ein Dackel eine weit bessere Nase hat als ein Mensch und dass für uns Nicht-Profis die durchschnittlichen 200 Millionen Riechzellen eines dahergelaufenen Hundes völlig ausreichen müssten, um mit ihm Mantrailing zu betreiben, frage ich mich: Wozu die Diskussion? Wir jagen nicht regelmäßig Sklaven oder Verbrecher, wir verfolgen gerade einmal Menschenspuren, und die meisten von uns tun das noch dazu nicht einmal für den sog. „Einsatz“, sondern einfach zum Spaß und weil sie gerne mit ihrem Hund unterwegs sind. Ich falle immer z.B. wieder auf dieselben Typen rein. Kaum haben sie spitze Ohren und haben eine schwarze Maske, werden sie für mich zum Hingucker, ganz egal, ob sie nun 20 oder 80 cm hoch sind und einer Rasse angehören oder nicht. Jemand anders schmilzt bei Schlappohren dahin, der nächste vielleicht bei Zottelfell oder bei Nackthunden. Was spricht dagegen, sich zum Zweck der Ausübung seines Hobbys einfach einen Hund zu nehmen, der weder großartige stammbaumbestätigte Anlagen hat noch exotisch ist, sondern den man schlicht sympathisch findet? Mit dem man trailen kann, aber nicht muss? Könnte es uns nicht egal sein, ob die Supernase, die allen Caniden gattungsspezifisch zu eigen ist, einem No-Name-Unikats-Hund gehört oder gar, man stelle sich das vor – einem der unzähligen Second-Hand-Exemplare? Sollten nicht gerade wir, die wir unseren Sport so gerne an der Öffentlichkeit als „artgerecht“ und „für jeden Hund geeignet“ vertreten, uns darüber im Klaren sein, dass wir durch einen neuen „Rassismus“ eine neue Industrie in Gang bringen? Wenn ich gezwungen wäre, mir meine Brötchen mit tierischen Suchleistungen zu verdienen, würde ich mir eine Gambia-Riesenratte zulegen. Die steckt die Nasenleistung von Hunden locker in den Sack, mit ihren 45 cm macht sie auch schon was her, in der Haltung ist sie unkompliziert und ich brauche dafür keinen Sachkundenachweis. Und in der Mantrailing-Szene würde ich damit garantiert auffallen.
E.L. August 2013