lexer&boulanger bücher, texte, unfug

Wo bitte, bleibt denn hier der Spaß?

Ihr Menschenbrüder, die ihr nach uns lebt, Laßt euer Herz nicht gegen uns verhärten, Und lacht nicht, wenn man uns zum Galgen hebt, Ein dummes Lachen hinter euren Bärten. Und flucht auch nicht, und sind wir auch gefallen, Seid nicht auf uns erbost wie das Gericht. Gesetzten Sinnes sind wir alle nicht —
(Ballade, in der Macheath jedermann Abbitte leistet. Brecht, Bertold: Dreigroschenoper)
 
Schön hat er das gesagt, der alte Brecht. Manchmal kann ich mich nämlich des Gefühls nicht erwehren, so manchem Hund, der mich in der Vergangenheit begleitet hat, nachträglich Abbitte leisten zu müssen. Einerseits weil ich bestens Gewissens und Wissens bzw. besten damaligen Wissenstands – wie viele andere, die schon jahrzehntelang mit Hunden zu tun haben – an den Großen Alphawolf geglaubt, mit Kettenhalsbändern und Leinenrucken gearbeitet und nicht selten auch die Stimme zu einem scharfen „Fuss“ oder „Platz“ erhoben habe, weil die Lady oder der Herr gerade wieder einmal an temporärer Taubheit litten oder sonst irgendwie ihren/seinen Unwillen demonstrierte. Andererseits – doch dazu später. Heute ist das ja alles ganz anders. Wer was auf sich hält, hat in der Zwischenzeit den gesamten – zweifellos sehr wichtigen! – Komplex der Beschwichtigungssignale für sich adaptiert, und zwar ausnahmslos für alles und jedes, was der Hund äußert und von sich gibt. Das leidige Aggressionsproblem haben wir elegant auf gewisse Rassen reduziert, denen man ebenso elegant den Garaus zu machen versucht. Angeblich wird die Liste solcher verdächtiger Rassen immer länger, aber das liegt wohl an den Tücken der hündischen Genetik. In Wirklichkeit geht dem „normalen“ Hund die sogenannte „Rudelharmonie“ über alles, und heute traut sich auch ja niemand mehr, an der Öffentlichkeit zu seinem Hund freundlich „Du spinnst wohl“ zu sagen, ohne sich beim Hund gleich zu entschuldigen, weil man ihn dadurch vielleicht verärgert haben könnte. Wir leben in trauten Partnerschaften, nehmen Rücksicht auf die labile emotionale Lage unseres vierbeinigen Lebensabschnittsfamilienmitglieds und erhalten die Arbeitsplätze in der Futtermittel- und Hundezubehörindustrie. Wir versuchen angestrengt, mit ihm in seiner Sprache zu sprechen, knurren, brummen, quietschen und hoppeln vor unseren Welpen auf allen vieren am Boden herum, um ihnen zu erklären, dass wir auch so eine Art Hunde sind, missglückte Exemplare vielleicht, aber wir würden uns zumindest bemühen. Ganz nebenbei – Hunde sind schlau genug, um uns auch ohne unsere seltsamen Versuche einer innerartlichen Kommunikation zu verstehen. Wie auch immer: Heute meinen wir es durch und durch gut mit dem Hund, von Anfang an ein Leben lang. Viele haben genau aus diesem Grund zu trailen begonnen. Manchen gefällt der militaristische Stil in den Hundeschulen nicht. Menschen wie ich haben z.B. ein echtes Problem damit, sich beim Prüfungsrichter mit „Hundeführer xx mit Hund yy von Entenhausen meldet sich zur Prüfung“ vorzustellen, allein aus Gründen der political correctness. Manche finden es auch praktisch, dass sie auf die Art und Weise mit ihren Hunden um die sog. „Unterordnung“ mit ihren „Kommandos“ (schon wieder solche einschlägigen Ausdrücke) herumkommen. Und ganz viele sind der Ansicht, das Trailen sei DIE artgerechte Beschäftigung überhaupt – was unter gewissen Umständen auch gar nicht so abwegig ist. Weil ich mir schon einmal oder öfter in meiner Vergangenheit ganz sicher war, das Richtige und Beste zu tun und zu wollen und meine Meinung einmal oder öfter zu revidieren hatte, komme ich an der Frage nicht vorbei, was man in zehn Jahren von diesen Typen halten wird, die einem Hund an einer langen Leine querbeet keuchend hinterher rennen. Wird man sich in naher oder ferner Zukunft fragen, ob wir damals völlig blind oder sonst wie vernagelt waren, um nicht zu erkennen, dass das dem Hund keineswegs so viel Spaß macht, wie wir heute im Brustton der Überzeugung behaupten? Oder anders gefragt – wieso scheint das, was man über hundliches Ausdrucksverhalten oder auch über Mensch-Hund-Kommunikation weiß, am Trail plötzlich keine Gültigkeit mehr zu haben? Wenn ein Hund auf das „Fuss“-Kommando in gekrümmter Haltung den Schwanz einzieht und die Ohren anlegt oder mitten am Agility-Parcours stehen bleibt, ein klein wenig unglücklich dreinschaut und sich schüttelt, wird man sich wohl nicht lange fragen, wie viel Spaß ihm das macht, auch wenn er schließlich freudestrahlend am Ziel ankommt. Wie viele Hunde zeigen am Start eines Trails Beschwichtigungssignale, wenn sie ihr Geschirr anziehen oder ihre Nase in eine Plastiktüte stecken sollen? Wie viele schalten den Retourgang ein, um sich dieser unangenehmen Situation zu entziehen? Ausbildungsfehler? Ich hab so manche Ausbilder gesehen, die dem Hund per Schnauzengriff die Nase in den Sack zwingen, und irgendwann lernt der Hund schon, das zu dulden. Es gibt tatsächlich Trainer, die behaupten, dass der Hund mit dem am Trail häufig gezeigten Schütteln so etwas wie **„den Alltag abschütteln“** um **„ganz frei zu sein für seine Aufgabe“**, oder dass das ebenso oft beobachtete Lecken über die Hundenase am Start dazu diene, um die Nase funktionstüchtiger zu machen. Vom Stresspinkeln einmal abgesehen oder vom Spontandurchfall – diese „Unarten“ kann man dem Hund abgewöhnen – wenn man´s kann. Arbeiten, das ist die Devise. Arbeit macht Spaß. Arbeit macht frei. In Österreich ist es so, dass manche Hundesportarten ab gewissen Temperaturen nicht mehr ausgeübt werden dürfen. Bei den Zughunden ist z.B. bei 22° Schluss mit lustig. Das fällt dann nämlich zu Recht unter tierschutzrelevant. Trailer finden oftmals allerdings nichts dabei, ihre Hunde bei 35° im Schatten und 90% Luftfeuchtigkeit durch die Großstadt zu hetzen oder ihre Hunde bei arktischen Verhältnissen zähneklappernd im Auto sitzen zu lassen, bis sie nach Stunden dann „dran sind“. Das schlagende Argument dafür ist, dass man sich im Einsatz das Wetter auch nicht aussuchen kann. Das mag für die verschwindende Minderheit der Hunde gelten, die tatsächlich zum Einsatz kommt – ganz abgesehen davon, dass Extremverhältnisse auch extreme Schwierigkeiten bei der Suche bedeuten und extrem wenig dabei herauskommt –, aber wie halten es die Fun-Trailer damit? Wird nicht gerade in diesem Bereich gerne herumprobiert, „ob er noch was hat“? Wie viel Spaß hat der Hund denn da noch? Oder wie steht es mit dem Testen, wie viele Trail(kilo)meter ein Hund schon schafft, egal ob er nun – nicht nur am Trail – auf Ausdauer trainiert ist oder nicht? Und wenn man ihn die letzten 500 m schon beinahe über den Trail trägt (wo bleibt hier eigentlich der Spaß?): Im Vordergrund steht hier vor allem der Ehrgeiz der/s HanderlIn, schlafen kann der Hund dann nachher sowieso. Im Auto, derweil man/frau auf ein Bier geht. Für einen der größten „Späße“ halte ich übrigens die berühmt-berüchtigten Tiefgaragen-Trails. Ich empfehle jedem/r, sich einmal auf Hundeniveau zu begeben, so wie damals im Welpenalter (erinnert euch!), und eine Minute intensiv zu inhalieren und dabei möglichst auch noch Volldampf gegen einen leinenähnlichen Widerstand anzulaufen. Wer davon nicht high wird, hat wahrscheinlich heimlich geübt oder bereits in der Schulzeit Uhu geschnüffelt. Ich sag nun nicht, dass ich mir in der Beziehung die Hände in Unschuld wasche. Das gehört alles zu den Dingen, die auch ich einmal für gut und richtig gehalten habe. Auch wenn mein Hund dann eine halbe Stunde mit heraushängender Zunge auf der Seite lag, Wasser hochkotzte und, obwohl Gebrauchshund, den ganzen Tag für nichts mehr zu gebrauchen war. Aber Meinungen haben es eben auch so an sich, dass Mensch sie ändern kann, darf und oftmals soll. Sofern Mensch bereit ist, sich die eigene Dummheit einzugestehen. Was meine Hunde angeht, soll noch einmal der alte Brecht bemüht werden:
 
Ihr Brüder, laßt euch uns zur Lehre sein, […]
Ich bitte sie, mir zu verzeihn.
Bethold Brecht

(RB/ES/AG) Oktober 2013

Wen das Thema interessiert: Robert hält beim diesjährigen „animal learn“-Symposium einen Vortrag: **Trail and Error** http://www.animal-learn.de/xii-symposium.html