lexer&boulanger bücher, texte, unfug

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Cesar Millan kommt nach Wien. Der geplante Auftritt in der Wiener Stadthalle, ein Veranstaltungsort, der nur wirklich publikumsträchtigen Events vorbehalten ist, schlägt schon im Vorfeld seine Wogen. Selbst der Presse ist bereits aufgefallen, dass sich die Hundewelt in pro und contra CM entzweit zu haben scheint. Die Emotionen gehen auf beiden Seiten hoch. Gerade wir, die wir mit Hunden zu tun haben, müssten eigentlich wissen, dass aufeinander loszugehen keine Lösung ist. Wir wissen auch, dass Geschrei aus dem Hintergrund im Konfliktfall anfeuernd wirken kann. So gesehen müssen wir uns die Frage stellen, wie wir mit dem Phänomen CM umgehen wollen bzw. mit Menschen, die seine Methode bewundern und für nachahmenswert halten. Millan hat eine weltweite, treu ergebene Fangemeinde. Wir wollen also zuerst zu verstehen versuchen, warum Millans Anhänger von seinen Methoden begeistert sind und keinem unterstellen, er wolle seinem Hund bewusst Böses tun, wenn er mit oder nach CM arbeitet. Vielmehr können wir davon ausgehen, dass jeder Hundebesitzer das Beste für seinen Hund will und Hilfestellung sucht – in Zeiten wie diesen meistens leider via Internet und Fernsehen –, wenn Probleme auftreten. Erst vor diesem Hintergrund können wir damit beginnen, zu erklären, aufzuklären und Alternativen aufzuzeigen. Denn wir denken, dass viele der Millan-Fans allein aufgrund der Medienwirksamkeit ihres Vorbilds sich noch keine Gedanken darüber gemacht haben, dass es auch anders gehen kann. Die Hundewelt in Österreich – und wahrscheinlich auch in Deutschland – zeigt heutzutage verschiedene, teils seltsame Ausprägungen in alle Richtungen. Das ist nun einmal nichts Neues. Als Ersthundebesitzer irrt man heute durch einen Dschungel von Erziehungsmethoden und Beschäftigungsangeboten. Verwirrung macht sich breit. Es wird gesportelt, geflüstert, dominiert, geleistet und telepathiert – was davon ist nun für den eigenen Hund das Beste? Von der Anbieterseite wird mit misstrauischem Auge begutachtet, was die Konkurrenz so treibt und vertritt. Dennoch ist gerade in der letzten Zeit wieder eine Art „Rechtsruck“ in der hundepolitischen Szene zu beobachten. Und dies ist Wasser auf die Mühlen mancher, zumeist selbsternannter Trainer und/ oder Hundeflüsterer. Wir stellen uns zunächst die Frage: Wie kommt ein solcher Trainer, der – unendlich reproduzierbar auf YouTube – Hunde in die Seite kickt und / oder auf andere Arten misshandelt, zu derartiger öffentlicher, medialer Anerkennung? Bevor wir aber mit unseren Ausführungen beginnen, möchten wir alle Leserinnen und Leser bitten, sich dieses Video genau anzusehen. http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=dSkYVwZKMSs (Dieses Video ließ CM in der Zwischenzeit von youtube entfernen) Und mit genau meinen wir das auch wörtlich so. Beobachtet in diesem Zusammenschnitt bitte explizit, wie oft der gezeigte Trainer Hunde in die Seite kickt, obwohl seine zu kurierenden Klienten schon mehr als deutlich zu verstehen zu geben, dass sie Angst haben, nichts wie weg wollen, also deutliches Meideverhalten zeigen und zum Teil deutliche Beschwichtigungssignale (oder besser Kapitulationssignale) von sich geben. Er scheint diese Signale nicht zu erkennen, er interpretiert knurrende und schnappende Hunde als Problemhunde, als gestörte Hunde, welchen er zu „helfen“ gedenkt. Dass er mit seinem eigenen Verhalten diese Aggression erst provoziert, ermöglicht ihm in Folge, diese Hunde als Problemhunde zu klassifizieren. Ein in die Enge getriebener Hund, der sich fürchtet und keinen Ausweg mehr sieht, wird als Lösungsstrategie eventuell beißen, um sich zu verteidigen. Das ist eine normale Reaktion und durchaus nicht pathologisch. An einer Würgeleine hängend und um Luft ringend, wird jeder im Alltag noch so umgängliche Hund zum letzten Mittel greifen, das ihm bleibt, um zu überleben und eventuell Aggressionen zeigen. Was hier mit den „behandelten“ Hunden passiert, hat nichts mit Verhaltenskorrektur oder Rehabilitation zu tun, diese „Behandlung“ ist ausnahmslos daraufhin ausgerichtet, den Hund psychisch zu brechen und als absolut tierschutzrelevant anzusehen. Ein gebrochener Hund ist – zunächst zumindest – meist ein unauffälliger Hund und fügt sich – zunächst zumindest – leider oft widerstandslos in das System ein, in dem er lebt. Diese Vorgehensweise ruft spontan Assoziationen mit der transorbitalen Lobotomie hervor, ein Eingriff, den man „verhaltensgestörten“ Menschen in den vierziger bis hinein in die Mitte der fünfziger Jahre angedeihen ließ, indem man ihnen einen Eispickel durch die Augenhöhle in den Schädel stieß, um sie durch Zerstörung von Teilen des Kortexlappens im Gehirn zu „heilen“. 1949 wurde dafür noch der Nobelpreis für Medizin vergeben, wenngleich es kaum empirische Belege für die Wirksamkeit dieser Methode gab. Spätestens seit „Einer flog über das Kuckucksnest“ ist diese Behandlungsmethode auch für die breite Bevölkerungsschicht ethisch inakzeptabel geworden und nicht mehr vorstellbar. Aber genauso wenig wie für die Lobotomie von damals speziell geschultes Personal vonnöten war, stellen sich heute nicht nur ungezählte ungeschulte oder unzureichend geschulte Vertreter der längst widerlegten Dominanztheorie vor ein hilfesuchendes Publikum und verteidigen die darauf beruhenden Ausbildungsmethoden. Da werden mit ernster Miene Gespräche geführt, da wird verständnisvoll vom Bildschirm gelächelt, große Besorgnis um Hund und Mensch demonstriert, und dann macht man sich umgehend ans Werk. Einem Newbie, der sich mit der Materie nicht weiter beschäftigt hat und der nur die Vorher-Nachher-Effekte bestaunt, wird das alles auch sehr einleuchtend erscheinen. Aus dem gerade noch schlimmen, gefährlichen, ungehorsamen etc. Hund wird im Handumdrehen ein Lämmchen, wenn man weiß, wie´s geht. Dem heutigen Hundebesitzer sitzt nämlich die Angst im Nacken. Durch sein Naheverhältnis zu seinem Mitbewohner – im schlimmsten Falle sind es sogar mehrere – gerät er von vornherein in Verdacht. Der Besitz eines für die Gesellschaft potentiell gefährlichen Tieres kriminalisiert die Hundehaltung und die Hundehalter. Wesenstests fungieren als Waffenscheine, und dass die „Lärm erzeugenden unberechenbaren Begleiter“ dazu noch stinkende Haufen hinterlassen, macht die Sache auch nicht besser. Umso mehr gilt es, irgendwelchen hundetypisch „auffälligen“ Verhaltensweisen vorzubeugen und den Hund, falls er sich daneben benommen haben sollte, notfalls gewaltsam in sein Umfeld zu reintegrieren.

Körpersprache

Seit Turid Rugaas' Publikation „Calming Signals“ sollten eigentlich jedem verantwortungsbewussten Hundebesitzer zumindest die wichtigsten körpersprachlichen Ausdrucksweisen der Caniden geläufig sein. Oder nicht? Ok, zurück an den Anfang: Alle, aber auch wirklich alle, die einem Hund begegnen, ob Hundebesitzer oder nicht, sollten wissen, dass ein Hund mit angelegten Ohren, der den Kopf abwendet oder einen höflichen Bogen schlägt, nicht auf eine aggressive Auseinandersetzung aus ist, sondern beschwichtigt. Wenn sein Gegenüber ihn versteht, was unter Hunden so üblich ist, lässt es ihn daraufhin in Frieden ziehen. Oder dass ein Hund mit eingezogenem Schwanz und nach unten geknickten Becken und angelegten Ohren nicht die Absicht hat, „dominant“ zu attackieren, sondern seinem Gegenüber signalisiert, dass es sich in seiner Anwesenheit fürchtet. Nicht? Wie war das doch gleich mit den allseits so geläufigen Redewendungen? „Da zieht er den Schwanz ein“ (das ist nicht etwa eine sexistische Redewendung, die sich ausschließlich auf Männer bezieht.) Oder: „Ich hab ihm / ihr die Meinung gesagt, da hat er / sie aber die Ohren angelegt“, oder: „Dem geht der Arsch auf Grundeis“? Wie wär´s damit: „Dem hab ich die Zähne gezeigt, dann wusste er, was Sache war“, oder aber auch: „Da stellen sich mir die Haare auf“, oder „Dem hängt die Zunge raus“. „Keifen“, „anblaffen“, „anknurren“, „Revier markieren“ und Ähnliches gehören offenbar auch zum Verhaltensrepertoire von Menschen. Wir finden jede Menge Redewendungen, die wir Menschen gattungsspezifisch auf uns selbst anwenden, obwohl wir dieser Körpersprache meist gar nicht mächtig sind. (Bis auf das Zähnezeigen, aber das wirkt nur wirklich gut, wenn es Vampire praktizieren.) Wir sind uns also alle dieser sehr deutlichen körpersprachlichen Signale bewusst, und wir wissen auch, dass die Redewendungen sich auf Verhaltensweisen von Hunden beziehen, mit denen wir schon so lange zusammenleben, dass wir die Beschreibung ihres Verhalten benutzen, um unsere eigenen Emotionen zu verbalisieren. Und hier in diesem Video finden sich eine Reihe von Filmsequenzen, die die Kur des Hundeflüsterers dokumentieren, in denen Hunden der Arsch gewaltig auf Grundeis geht(1:08), in denen sie den Schwanz einziehen(1:38,1:46). Diese Szenen führen uns demnach Emotionen vor Augen, die uns nur zu gut bekannt sein sollten. Und doch scheint das schlagende Argument seiner Befürworter immer noch Gewicht zu haben – es handle sich hierbei um hundegerechte Mensch-Hund-Kommunikation. Wird hier das Mitgefühl verleugnet oder sollte ein solches einigen Menschen tatsächlich abhanden gekommen sein?

Rechtsruck

Durch die hundepolitische Szene, die seit dem 20. Jahrhundert den gesellschaftlichen Status quo widerspiegelt, scheint gerade so etwas wie ein Rechtsruck zu gehen. Dafür alleine Cesar Millan verantwortlich zu machen wäre unfair. Aber dieser Umstand spielt ihm natürlich zu. Wir sollten uns also fragen, wie es eigentlich dazu kommt. Gehen wir zurück zu Konrad Most, der als der Begründer des Hundesports und der Hundeerziehung des 20. Jahrhunderts schlechthin gilt. 1910 erschien sein Buch „Die Abrichtung des Hundes“, das für die nächsten Jahrzehnte die Hundeerziehung nachhaltig beeinflussen sollte. Most, Polizist und Ausbildner von Diensthunden, verfasste detaillierte Anleitungen zum Abrichten und Führen von Hunden, die auf der Demonstration körperlicher Überlegenheit gegenüber dem Hund gründeten. Starkzwang hieß das Mittel der Wahl, um Hunde dazu zu bringen, sich dem Willen des Menschen widerstandslos zu beugen. Betrachten wir das Umfeld. Zwei Weltkriege. Die zeitgenössische Pädagogik, die Kinder oft mit Arrest, Liebes- und Essensentzug und körperlichen Strafen erzog. Der „Drill“ bei der Ausbildung von Rekruten, der Kasernenhofton – wen wundert´s, dass für den Umgang mit Hunden, die ausgewählt waren, ihre Pflicht für Ehre und Vaterland zu erfüllen, dasselbe galt. Da wurde gebrüllt, gezogen, geruckt, gerissen, gewürgt, gedrückt, ein wahres Arsenal an technischen Hilfsmitteln, die den Hund gefügig machen sollten, zusammengetragen. Obwohl Most selbst martialische Gerätschaften ablehnte, entwickelte sich in seiner – vielleicht missverstandenen – Nachfolge ein deutlicher Trend zum Griff in die Trickkiste. Ein neues praktikables Instrument hervorgezogen, und schon war der Diensthund zu absolutem Gehorsam bereit. Und was den Diensthunde„führern“ von Polizei und Militär recht war, konnte dem privaten Hundeliebhaber nur billig sein: Stachelwürger, Drahtschlingen, „Franzosenband“ und ähnliche nützliche Machwerke hielten Einzug auf den Hundeplätzen, gerechtfertigt durch ehrgeizige oder überforderte Besitzer von sog. Gebrauchshunden, die in späteren Jahren freudestrahlend zur elektrischen Fernsteuerung ihrer „unführigen“ treuen Freunde greifen sollten. Konrad Most begründete seine Methoden auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, die damals, zu Beginn des 20. Jahrhunderts – vor über einhundert Jahren – gültig waren. Das ist ein Anspruch, den man auch heute an jeden seriösen Hundetrainer stellen würde. Most war für seine Zeit völlig im Recht. Damals vertraten die Biologen die Ansicht, dass der Wolf, von dem der Hund bekanntermaßen abstammt, sein Rudel mit Dominanz regiert und das Alphatier auf der Grundlage seiner physischen Überlegenheit in einer Art diktatorischer Herrschaft das Rudel mit Furcht, Strafe und Schrecken beherrscht. Sich Gedanken darüber zu machen, wie stark bzw. ob überhaupt ein Hund bei den angewandten Kontroll- bzw. „Korrektur“maßnahmen Schmerz empfindet bzw. was emotional in ihm dabei vorgehen könnte, erschien damit vollkommen überflüssig, da das Bedürfnis nach Druck von oben dem Hund damit praktisch angeboren war und eine Art von Masochismus wohl als genetisch festgelegt anzusehen war, und mit Genetik hatte man es bekanntlich ganz besonders zu Mosts aktiven Zeiten. Geht der Hund denn etwa nicht gerne in seinen Zwinger, um dort zu ruhen, bis er wieder arbeiten darf? Himmelt der geprügelte Hund seinen Herrn denn vielleicht nicht an, kriecht vor ihm zu Kreuze und leckt seine Hand? Sucht der Hund, der einen wohl dosierten Stromschlag via Teletakt erhalten hat – wenn dieser „richtig verknüpft“ ist – nicht laut schreiend die Nähe seines Herrn? Na also! Außerdem, wer weiß schon, welchen Schmerz der Hund dabei wirklich empfindet, ob er nicht übertreibt, lügt, Mitleid schindet, den Menschen zu manipulieren versucht? Vertrat denn nicht auch ein Gelehrter wie René Decartes (1596 -1650), der uns unser Selbstbewusstsein verschaffte und durch die dem Menschen eigene ratio die Vorherrschaft über alle Geschöpfe legitimierte, die Meinung, dass man jeglichem Tier, das per se nicht dem Geist, sondern als eine Art komplizierter Automat der Materie zuzuordnen sei, getrost jegliche Art von Schmerzempfinden, ja mehr noch, Bewusstsein absprechen könnte? „Ihre Schmerzensschreie sind nicht mehr als das Quietschen eines Rades“, stellte er fest und beflügelte seine Nachfolger im Geiste damit zu weiterführenden wissenschaftlichen Versuchen, bei denen Hunde mit ihren Pfoten an Scheunentore genagelt wurden. Dass die Sache mit den Wölfen und den Alphas allerdings nicht so ist, wie von Most und der Schar seiner Anhänger angenommen wurde, ist seit den Untersuchungen vieler Wolfsforschungseinrichtungen und Beobachtungsinstitutionen vor allem in Freilandforschungen erwiesen und hat spätestens mit den Veröffentlichungen von Mark Bekoff, L. David Mech, Erik Zimen und Günther Bloch auch die Hundeszene erreicht. Wobei einige wie z.B. Bloch und Mech die von ihnen ursprünglich vertretenen Thesen längst revidiert haben. (http://www.psychologytoday.com/blog/animal-emotions/201202/social-dominance-is-not-myth-wolves-dogs-and) Die moderne Verhaltungsforschung belegt, dass Wölfe durchaus kein Schreckensregiment führen, sondern in sozialen Familienverbänden zusammenleben, in denen Mutter und Vater, die auch die größte Lebenserfahrung vorzuweisen haben, ihre Kinder liebevoll erziehen. Wölfe in der freien Wildbahn sind vom Funktionieren ihres Sozialverbandes abhängig. In diesem Verband haben die lieben Kleinen die Möglichkeit, ihre eigenen Erfahrungen zu sammeln, unter Aufsicht und Fürsorge der Elterntiere, was aber keinesfalls mit laissez-faire gleichzusetzen ist und ebenso wenig mit Alpha-Dominanz zu tun hat.

Das andere Extrem

Daraus entwickelte sich ein neues Verständnis für den Umgang mit dem Hund. Fortschritte im Bereich der Forschung rund um die Lerntheorie von Caniden ergänzten dieses Bild und machten eindeutig klar, dass eine Erziehung von Hunden, die mit Gewalt operiert, als kontraproduktiv anzusehen ist. Stress und Angst verhindern bekanntlich jede Art von nachhaltigem Lernen. Und somit hielt gottlob ein neuer Weg Einzug in die Hundeerziehung: die positive Verstärkung, welche absolut zu begrüßen ist, aber leider von vielen Zeitgenossen falsch interpretiert oder nicht verstanden wird. Dieser neue Trend entwickelte zum Teil ebenso bunte Auswüchse wie viele andere Trends auch. Trends beinhalten halten ja unter anderem, übertrieben zu werden. So findet sich wie in der einst so modernen antiautoritären Kindererziehung die Auffassung, positive Verstärkung heiße so viel wie jedes positives Verhalten abzuwarten und zu verstärken und negatives Verhalten einfach zu ignorieren, in der Hoffnung, dass das aktive Desinteresse daran das unerwünschte Verhalten von selbst verschwinden lassen würde. In diesem Falle müsste man wohl anmerken, dass hier die moderne Lerntheorie und die gewaltfreie Hundeerziehung mittels positiver Verstärkung nicht verstanden wurden. Ein Beispiel: Umgesetzt auf die Erziehung von Menschenkindern würde das bedeuten: Scheißt das Kleinkind auf den Esstisch, ignorieren wir das Verhalten, versucht es MAMA zu sagen, stopfen wir ihm eine Tafel Schokolade in den Mund. Das Experiment, ein Kind ganz ohne Einschränkungen zu einem sozialen Wesen zu erziehen, geht mit großer Wahrscheinlichkeit daneben. Dem Hund beizubringen, dass er mit dem, was er gerade tut, möglichst rasch aufhören soll, wäre in dem Fall eine „Einschränkung seiner persönlichen Freiheit und Kreativität“ und ein Zeichen für autoritäres Denken. Von derselben Fraktion wird zudem auch ganz gern vernachlässigt, dass es noch so etwas wie Hundehaltermanagement gibt. Denn was spricht dagegen, als Mensch sein Hirn einzuschalten, zu überlegen, warum der Hund dieses oder jenes machen oder nicht machen will? Die Bedürfnisse die Hundes abzuklären und durch Management oder Training dem Hund Alternativen positiv aufzuzeigen und zu ermöglichen? Was spricht dagegen, mit einem eher unverträglichem Hund anderen aus dem Weg zu gehen oder den übermütigen Junghund vor Erreichen der Straße evt. anzuleinen? Wie gewaltlos es denn ist, Bello in ein Auto laufen zu lassen, weil er selbst entscheiden darf, ob er nun auf den verzweifelten Ruf seines Besitzers kommt oder nicht, soll hier nicht weiter diskutiert werden. Unsere Hunde müssen heutzutage eine Unmenge von Anforderungen, die ein Leben in der Menschenwelt mit sich bringt, erfüllen. Es ist unsere Verantwortung, den Hunden ein „gutes“ Leben in unserer Welt so leicht wie möglich zu machen, um sich darin zurechtzufinden. Zugegeben, obiges Statement ist sehr überspitzt und provokativ, aber es soll verdeutlichen, dass auch in dieser Richtung vielfach ohne gesunden Hausverstand gearbeitet wurde und noch wird. Um das zu konkretisieren: Der unerfahrene Ersthundebesitzer findet sich in der Normalverbraucher-Hundeschule ein. Die erste Schulstunde ist Kapitel 1 des europäischen Hundeknigges gewidmet: Wir lernen, „Fuss“ zu gehen. Im Regelwerk der Hunde(sport)organisationen findet man hierzu, dass der Hund mit seinem Kopf (sofern er die nötige Widerristhöhe hat) auf der linken Seite in Höhe des linken Knies des Hunde„führers“ zu gehen hat (ein Relikt aus der Zeit, in der die rechte Hand für die Waffe frei sein musste), und um dies zu bewerkstelligen, lockt ihn der Hunde„führer“ neben sich her, indem er ihm unentwegt Wurststückchen ins Maul schiebt, während er das gesamte Prozedere unentwegt mit hoch klingendem und melodisch-begeistertem „Fein macht er das!“ untermalt. Der Hund läuft fröhlich der Wurst hinterher, hat Spaß und tut mit. Solange er Lust hat. Dem Hundeneuling soll hier gar nichts unterstellt werden. Er kommt ja besten Willens in die Hundeschule, um zu lernen, wie er aus seinem Junghund einen salonfähigen bzw. alltagstauglichen Hund macht, mit dem er stressfrei spazieren gehen kann, an anderen Hunden ohne dramatische Showeinlagen vorbeikommt, sich auch ohne Leine davon abhalten lässt, Jogger oder Hasen zu jagen und im Wirtshaus unterm Tisch einschläft, relaxt wie ein Yogi. Eigentlich will er nichts anderes als einen Hund, mit dem er sich im Alltag „normal“ und gefahrlos bewegen kann. Wie normal sich der Hund mit nach rechts oben verdrehtem Genick, an der linken Kniescheibe klebend, im Alltag noch bewegt, sei einmal dahingestellt. Auch sollen hier nicht alle Hundeschulen über einen Kamm geschoren werden, es gibt sehr wohl rühmliche Ausnahmen, die allerdings zumeist nicht den offiziellen Hunde(sport)-Dachverbänden unterstehen. Dass die Futterstopfmethode allein spätestens dann nicht mehr funktioniert, wenn der Futterbeutel leer ist, versteht sich irgendwie von selbst, und wer will schon mit einem halben Kilo Wurst im Beutel am Sonntagnachmittag mit seinem Hund durch die Fußgängerzone schlendern und mit penetrant nach Wurst riechenden Fingern sein Eis löffeln. Dieser Ansatz ist also früher oder später zum Scheitern verurteilt, je nach Appetit des Hundes und Finanzkraft des Besitzers, der die irgendwann für den Hund ob des Überflusses wertlos gewordenen Wiener Würstchen durch Grillhuhn oder Roastbeef ersetzen muss, um die motivierende Wirkung der Futterbelohnung zu erhalten. Vorbei damit ist es spätestens dann, wenn der pubertierende Junghund Eigeninteressen entwickelt, die die Anziehungskraft von Futter bei Weitem übersteigen, und auf Bestechung nicht mehr reinfällt. Spätestens jetzt sollte allen klar sein, dass die Methode der positiven Bestärkung nicht ausschließlich darin besteht, den Hund mit Leckerlis zu „bestechen“. Vielleicht sollte man einmal einen Blick auf die Bedürfnispyramide von Maslow werfen. Belohnungen können und sollen sehr vielfältig sein, v.a. auf die Bedürfnisse des Hundes und den jeweiligen Situationen angepasst, der Kreativität sind hier keine Grenzen gesetzt. Doch es gibt ja noch weitere Methoden der positiven Verstärkung, beispielsweise den Klicker. Somit spezialisieren sich so manche fortschrittlich denkende Hundehalter auf den kleinen Knackfrosch, dessen Nützlichkeit als Lernbehelf hier nicht angezweifelt werden soll – im Gegenteil, richtig angewandt lassen sich mit diesem kleinen Hilfsmittel wahre Wunder vollbringen! – und setzen diesen oft und gerne und immer und überall und pausenlos ein. Dass Mehrhundebesitzer sich damit manchmal in eine missliche Lage bringen, dazu eine kleine Anekdote: Am Vorabend eines Seminars in Bayern saß ich (R.B.) im Biergarten an einem Tisch, der in der Nähe der angrenzenden Straße platziert war. Irgendwann drangen Klickgeräusche an mein Ohr. Klick, klick, klick. Drei Mal. Nach einer Weile hörte ich wieder: klick, klick, klick, dann „fein, fein, fein“. Genaugenommen: klick – fein, klick – fein, klick – fein. Wenige Sekunden später sah ich eine Frau am Gehsteig, an der Straße, und ich konnte sie als Quelle der Geräusche ausmachen. Sie blieb an der Kante des Bürgersteigs stehen, klick – fein, klick – fein, klick – fein. Nachdem einige Autos vorbeigefahren waren, überquerte sie die Straße, auf der anderen Seite angekommen, konnte ich dann auch die zugehörigen Hunde sehen: klick – fein – Leckerli geben 1. Hund, klick – fein – Leckerli geben 2. Hund, klick – fein – Leckerli geben 3. Hund. Die Frau wirkte gestresst. Am nächsten Tag stellte sich heraus, dass die Hundebesitzerin eine meiner Seminarteilnehmerinnen war und beim Trailen keine Hand mehr frei hatte zum Klickern und Leckerli geben, was ein nicht zu unterschätzendes Problem darstellte, da sie sich mit ihren Hunden ausschließlich über den Klicker verständigen konnte. Ob der beiden Beispiele braucht man sich nicht wundern, dass die alte, aber immer noch einflussreiche Garde der Hundeausbildung spöttisch lächelnd die Meinung vertritt, dass das alles kompletter Schwachsinn und maximal für Schoßhündchen geeignet sei. Wer noch nie einen Rottweiler, Riesenschnauzer, „triebigen“ Deutschen Schäfer oder, wenn er fit genug ist, einen Mali oder Herder bis zur IPO 3 geführt hat, bräuchte da im Übrigen auch gar nicht mitzureden. Und wer noch nie im Sport ganz oben dabei war, auch nicht – ein Kritikpunkt, der auch Cesar Millan vonseiten der Sportfraktion zu treffen vermag. Denn „effektive“ Methoden hat man auch im Hundesport schon lange parat. Zwar nicht offiziell, sondern hinter den hohen Bretterwänden mancher Hundeplätze, an denen sich die Insider treffen, die sich einig sind. Das Veto, das die offiziellen Hundesportverbände dagegen einlegen, wird in dem Moment null und nichtig, wenn man solche Erziehungslager kurzerhand ins Ausland verlegt. Denn Österreich ist ein kleines Land, von dem aus man nirgendwo weit von einer Grenze dahin entfernt ist, wo man´s noch nicht so furchtbar genau mit dem Tierschutz nimmt. Die erziehungstechnische Lobotomie des Hundes, auch Korrektur genannt, durchgeführt mit Gebrüll, Tritten, Stachelwürgern und Teletaktgeräten, funktioniert für manche Kreise nämlich immer noch „verlässlich“, „schnell“ und eindrücklich „wirkungsvoll“. Die hohe Kunst dabei ist, dass man dem Hund die „Sonderbehandlung“ nachher bloß nicht ansehen darf, er soll ja laut Prüfungsordnungen den „Befehlen“ „freudig“ nachkommen und nicht in Erwartung des nächsten Stromschlages zusammenzucken, wenn es „Platz“ oder „Aus“ heißt. Das ist nun auch ein weiterer Kritikpunkt der „harten“ Szene an dem Herrn aus dem Fernsehen, der mit mentaler Energie und physischer Gewalt arbeitet: nicht etwa, dass und wie er „korrigiert“, nein, seine „Korrekturen“ kämen zu langsam und würden damit den Lerneffekt verderben. Dass der Zweck die Mittel heiligt, das hat im Mittelalter schon die Inquisition erkannt. Man stecke den Delinquenten in eine Eiserne Jungfrau und schon hört man, was man hören will. In moderneren Zeiten befestigt man Elektroden an den Brustwarzen und dreht den Strom stufenweise nach oben. Der Verdächtige wird gestehen, was zu gestehen ist, und wird sich fügen, und sei´s nur drum, den Schmerz zu lindern oder zu beenden. Ob das, was er sagt, der Wahrheit entspricht oder nicht, spielt keine Rolle. Fügt er sich nicht, bleibt noch immer die Lobotomie, aber letztendlich gibt uns diese Vorgehensweise Recht, denn sie funktioniert. Ja, auch diese, auf Strafe basierenden Grundsätze der Lerntheorie funktionieren: situationsbedingt und kurzfristig und immer auf Kosten der Hunde. Diese Erziehungsmethoden und somit auch jene eines Cesar Millan, der stolz darauf ist, geniale, für den Laien harmlos aussehende Leinenkonstruktionen erfunden zu haben, die darauf abzielen, den damit strangulierten Hunden die Blutzufuhr zum Gehirn zu unterbinden, der gezielte Kicks in empfindliche Weichteile von Hunden verteilt und mit Alpha-Gehabe Hunde zur „Entspannung“ bringt, in seinen Shows – offensichtlich der Publikumswirksamkeit geschuldet – die Tiere vor den Augen ihrer entsetzten Besitzer zu aggressiven Verhaltensweisen provoziert, um ihre Gefährlichkeit zu demonstrieren und sie dann unerschrocken und tatkräftig zu maßregeln, haben im 21. Jahrhundert genauso wenig verloren wie Folter und Hexenverbrennungen. Doch was wissen wir über CM denn eigentlich. Wissen wir, ob er selbst Problemlösungsstrategien jemals anders kennengelernt hat als in Form gewaltsamer Ansätze? Welcher Umgang mit Hunden hat ihn geprägt? Dass er Hunde mag, macht er uns glauben. Dass er vor seinem Upcoming auch nie die Chance hatte, sich weiterzubilden, das wissen wir auch. Nur – warum nimmt er sie jetzt nicht wahr? Es ist ein Spiel, in dem es um Macht geht – und um Angst. Nicht umsonst sind so viele der von Millan „geheilten“ Hunde Vertreter jener Rassen, die uns von den Medien als brandgefährlich präsentiert werden: reißende Kampfhunde oder mythisch besetzte wolfsähnliche Exemplare. Öl ins Feuer der heutigen Hundehysterie. Wer die Bestie bändigt, hat mehr „Energie“ als die hilflosen Hundehalter und der Rest der den beißwütigen Hunden ausgelieferten Welt. Er hat Macht. CM bezeichnet sich als „Führer“, was zu denken geben sollte. Hat er sich geschickt in die Lücke einer Gesellschaft platziert, die, übersättigt und orientierungslos, wieder nach Zucht und Ordnung ruft? Ist er auf den fahrenden Zug gesprungen, dafür ein esoterisch angehauchtes Vokabular einzusetzen? Und mit dem rosa Zuckerguss, den armen Besitzern helfen zu wollen und ihre Killerhunde vor dem sicheren Tod zu retten, das Konzept auch noch äußerst schmackhaft und besser verkäuflich zu machen? Oder ist er eventuell wirklich der Überzeugung, den Hunden Gutes zu tun, sie zu retten und vor dem Tod zu bewahren, da Probleme mit dem Hund in den USA relativ rasch und unbürokratisch die Euthanasie nach sich ziehen? Weiß er es nicht besser? Oder will oder darf er es nicht besser wissen? Ist CM selbst das Opfer seiner Agenten geworden, die mit seiner Vermarktung das große Geld gewittert haben? Von einer Gesellschaft, die unter chronischem Zeitmangel leidet, in der Erfolge nicht schnell genug erzielt werden können, die nur noch auf Funktionalität, Effizienz und Gleichschaltung ausgerichtet ist, darf man wohl nicht mehr erwarten, als dass der angeblich beste Freund des Menschen als etwas anderes betrachtet wird als eine Sache, mit der verfahren werden kann. Sachen verfügen weder über Bewusstsein noch über Emotionen und schon gar nicht über Intelligenz bzw. Lernfähigkeit. Selbst die Judikatur dieser Tage bezeichnet einen Hund als Sache. Rechtlich ist er eben eine solche, nicht mehr und nicht weniger. Genauso, wie Hunde auch zu Descartes´ Zeiten im 17. Jahrhundert zur Materie zählten. Daran hat sich nichts geändert, und das ist ein ziemliches Armutszeugnis für uns Menschen. Und somit kommen wir zum Fazit dieses Artikels. Wer auch immer sich für dominanzorientierte Methoden begeistert, Hunde als triebgesteuerte, gefühllose Automaten betrachtet oder diese Sicht vom Umgang mit Hunden mit dem Kauf einschlägiger Bücher oder der Finanzierung von Auftritten von Alpha-Trainern unterstützt, kann sich genauso gut einen Aibo Hund zulegen (http://de.wikipedia.org/wiki/Aibo). Dieser maschinelle Hund aus dem Hause Sony ist ein Meisterwerk der Robotik. Descartes hätte seine helle Freude an ihm gehabt. Man kann ihn im wahrsten Sinne des Wortes abrichten, er versteht menschliche Interaktionen, Befehle und Anweisungen. Aber er erleidet keinen Schmerz, wenn man ihn kickt. Auch „miracle collars“ sind ihm schnurzegal. Einzig der Einsatz von Teletaktgeräten führt eventuell zu einem menschlichen Lerneffekt – damit geht er nämlich auch der Aibo**** kaputt. Und wir denken ernsthaft darüber nach, für Hundetrainer, die nach Methoden agieren, die vor 100 Jahren up to date waren, einen Fond einzurichten, der ihnen ihre Fortbildung ermöglicht. Das sollte uns das Wohl unserer Hunde doch wert sein ;-)

Robert Boulanger, Alexandra Gerke, Elisabeth Lexer, Clarissa von Reinhardt im Mai 2014