New Age of Aquarius
In einer bekannten österreichischen Hundezeitschrift bin ich kürzlich auf einen Artikel über den Promi-Hundeflüsterer Cesar Millan gestoßen. Sollte jemand nicht wissen, wer das ist: Cesar ist der neue Guru der Hundeszene aus dem fernen Mexiko, der es trefflich versteht, den Hunden was zu flüstern oder auch noch andere Dinge mit ihnen anzustellen. Jedenfalls gelingt es ihm sehr gut, den Menschen einzuflüstern, was richtig und was falsch ist bei ihrem Umgang mit dem Hund, und höchst medienwirksam geht er auch mit gutem Beispiel voran und führt ein Rudel sog. Kampfhunde locker an der Leine. Na da schaun wir aber. Mr. Millan ist bei Weitem nicht der einzige seines Fachs. In der Hundewelt wachsen die Gurus neustens wie die Schwammerln aus dem Boden. Da musste ich mich natürlich sofort schlau machen, was es mit dieser Gurerei eigentlich auf sich hat, um mir Einblick in diese höchst mysteriöse Geschichte zu verschaffen. Also: Das Wort "Guru" kommt aus dem Sanskrit. Sanskrit ist so eine Art "Hochaltindisch". Wo Indien, da Hindus, heilige Kühe etc., und wo Hindus, da Gurus, nämlich Lehrer, Meister, "Vertreiber der geistigen Dunkelheit". Im Kastenwesen lag die Guruschaft in der Familie und war damit erblich. Bis zu zwölf Jahre verbrachte der Wahrheitssuchende im Hause des Experten für weltliche und spirituelle Angelegenheiten, zählte zum Haushalt und war ebenda auch zur Arbeit angehalten. Denn - im Gegensatz zu unseren zeitgenössischen Gurus - durfte der Meister für die Weitergabe seines Wissens und seiner Weisheit kein Geld verlangen. Ein Geschenk des Schülers am Ende der Ausbildung war allerdings schon sehr angebracht. Der buddhistische Guru oder auch Lama (wie der Dalai Lama) passt schon besser in das heutige Bild. Wer sich entschließt, die Lehren des Meisters anzunehmen, macht diese Person zu seinem höchstpersönlichen Guru. Das klingt bekannt. Der 14. Dalai Lama, Friedensnobelspreisträger 2011, warnt allerdings ausdrücklich davor, Gurus blinden Glauben entgegenzubringen. Und dann haben wir noch die Gurus der Sikhs. Diese Gurus sind Sprachrohre eines selbsterleuchteten Gottes. Religionsgründer also. Sie interessieren hauptsächlich für das Hier und Jetzt und sind keine Gegner materiellen Wohlstands. Das klingt auch bekannt. Eine glückliche Allianz fanden alle Sorten von Gurus in der Hippie-Bewegung. Love, Peace, Freedom, Happiness. Wer die Schnauze voll hatte, pfiff auf die spießige Gesellschaft und setzte sich ab nach Indien, fand Unterschlupf bei einer charismatischen Persönlichkeit und spendete sein Hab und Gut einer seligen erleuchteten Gemeinschaft, um sich selbst zu finden. Sehr schön. Aber was hat das nun mit unseren Hundegurus zu tun? Wie wir alle wissen, hat Hund für Mensch in den letzten Jahren einen enormen Bedeutungswandel erlebt. Wer meinen Hund nicht mag, ist nicht mein Freund. Wer meinen Hund angreift, greift mich an. Ehrlich, da werde ich - und nicht nur ich - zur rachsüchtigen Furie. Wenn der Nachbar zu meinem Hund am Gartenzaun sagt, er soll die Klappe halten, würde ich in Vertretung meines Hundes am liebsten dasselbe zurückschmettern. Hund ist also Teil der Identität. Wenn nun jemand Probleme mit dem Eigenhund hat, werden diese Probleme zu existentiellen Problemen. Und wenn dann eine charismatische Persönlichkeit auf der Bildfläche erscheint, einem aus der Seele spricht und (verzweifelt gesuchte) Wahrheiten rhetorisch einwandfrei rüberbringt, dann ist Mensch bereit, alles liegen und stehen zu lassen und sich trotz der Warnung des Dalai Lamas dem Meister anzuschließen, der, wenn das Verehrerrudel wächst, Gurustatus erreicht. Was der Guru von sich gibt, wird wieder Teil der Identität seiner Anhänger und damit im Sinne der Rudelharmonie intensiv bzw. aggressiv verteidigt. Ob der- (oder heutzutage auch die-) jenige Guru das gewollt hat oder nicht, ist in dem Fall wurscht. Guru ist nämlich auch nur ein Mensch, dem es naturgemäß schwerfällt, unter dem Dauerapplaus am Boden zu bleiben, und der das, was er von sich gibt, früher oder später selbst als der Weisheit letzten Schluss betrachten wird. Was er/sie lehrt, wird mit der Zeit so echt, dass er/sie es sogar körpersprachlich zweifelsfrei vermittelt, weil er/sie selbst daran glaubt. Bleibt ja auch gar nichts anderes übrig bei der ständigen Bestätigung. Besonders gut funktioniert dieser Mechanismus nun bei Dingen, auf die man (noch) keine Antwort hat. Mensch kann sich eben in nichts so reinsteigern wie in bauchgesteuerte Vorkommnisse, die sein Gehirn nicht ganz zu fassen kriegt. Wird schon kein Zufall sein, dass man Hundeflüsterer gern als Gurus bezeichnet. Auch in der Mantrailing-Community sollen ja angeblich Gurus umgehen, die die Merkmale hinduistischer, buddhistischer und sikhistischer Gurus gekonnt unter einen Hut bringen. Wo Licht bzw. Erleuchtung, da Schatten: Eh klar, dass Mensch mit Hund - allen voran die kritiksüchtigen Exemplare, die immer anderer Meinung sind - beginnt, die Gurus samt ihrer Anhängerschaft in ihre Einzelteile zu zerlegen. Fällt einem auch gar nicht schwer. Aber es gibt ja nicht wirklich was Neues unter der Sonne. Es wäre daher nicht weiter verwunderlich, wenn besonders charismatischen Persönlichkeiten darunter ihr eigenes, abgespaltenes Verehrerrudel zuläuft und sie damit zu neuen (in dem Fall Anti-) Gurus werden, deren Communities sich wiederum aufs Neue die Schädel darüber einhauen, wer eigentlich Recht hat. Weil Rechthaben- und Bestätigungkriegenwollen einfach zutiefst menschlich sind. Ich fühl mich ganz wohl mit meinem Hunderudel. Wenn die bellenden Anteile meiner Identität mich nerven, flüstere ich ihnen selber was. Aber ich hab mir schon überlegt, was ich mit dem materiellen Gewinn machen soll, der mir bleibt, wenn ich mein Hab und Gut nicht für meine persönliche Erleuchtung ausgebe und auch Mr. Millan oder anderen kein Geschenk, z.b. in Form eines Würgehalsbands, machen muss. Wahrscheinlich fall ich in die nächste Tierhandlung ein und spendiere meinen Vieren eine Runde Kauknochen.
E.L. Juni 2013